Bunch of Roses
Der steirische Künstler Fritz Ganser hat in einer beeindruckenden Installation ausgewählte Gedichte von Mohammed Schemsed-din Hafis in die dritte Dimension überführt. Er hat tausende von Buchstaben aus Acrylglas an Schnüren befestigt und diese in einen angedeuteten White Cube gehängt. Die Auswahl der Farben hat er anhand der klassischen Farbgebung der Rosen in Hafis’ Gedichten ausgewertet: Weiss, Rot-hell, Rot-dunkel, Pink, Purpur, Violett, Lila, Gelb und Orange – eine Referenz sowohl an den großen persischen Dichter, wie an die legendären Rosengärten von Schiras und die Farben des Iran.
In Persien sind seit Jahrtausenden Rosen gezüchtet und kultiviert worden und in Persien haben sie auch ihre größte Verehrung und ihren reichsten Kult erfahren. Die Rosengärten von Schiras sind durch die Dichtung von Hafis weltberühmt geworden. Er hat der ephemeren Existenz dieser fragilen Geschöpfe durch seine Lyrik den Ewigkeitsanspruch der Weltliteratur verliehen.
Die Bedeutungen der Rose als Symbol und Sinnbild in der Literatur sind natürlich mannigfaltig. Legionen von Dichtern und Philosophen haben in hochklingenden Worten ihren Reiz und ihre Schönheit besungen. Die Bildsprache der persischen Poesie offenbart uns zudem eine eigene Welt von inneren Beziehungen und Verweisen, die ein komplexes Gewebe entspinnen, dessen Verbindungen für uns nur schwer zu entziffern sind. So wird in der persischen Dichtung die Rose in voller Blüte gemeinhin mit Freude verglichen und das Öffnen der Rosenknospe als Lächeln und Lachen. Hafis war überdies ein Dichter, der tradierte Begriffe in neue Zusammenhänge und Kontexte gestellt und sie zu vielschichtigen Allegorien, Metaphern und Gleichnissen verdichtet hat.
Fritz Gansers Installation erweckt daher erst einmal den Eindruck einer verwirrenden Struktur, die sinnbildlich für die Annäherung eines Europäers an das komplexe Gewebe von Hafis’ Dichtung stehen könnte. Es scheint eine zwar durchdachte, aber nicht unbedingt logische Ordnung zu geben, die keinen erkennbaren Anfang geschweige denn ein Ende erkennen lässt. Jeder Buchstabe tritt uns als skulpturaler Gegenstand vor Augen, doch die Dichte der Anordnung scheint wie ein Vorhang den Blick auf das Verstehen erst einmal zu verdecken. Es ist der berühmte zweite Blick und die Bereitschaft, die Perspektive zu wechseln, die uns seine formale Umsetzung und den Inhalt erkennen lässt.
Ganser arbeitet mit den Materialien des Dichters wie jenen des Künstlers und kombiniert Sprache mit Farben. Wie ein Marionettenspieler hat er die einzelnen Glieder der Sprache an Schnüre gebunden und erzählt mit deren Hilfe immer wieder neue Geschichten von Hafis, Schiras, den persischen Rosen, den Farben des Iran, von Johann Wolfgang von Goethe, dem West-östlichen Divan und der Macht des Wortes.
Warum, so mag man sich jedoch fragen, widmet sich ein steirischer Künstler den Gedichten eines persischen Dichters aus dem 14. Jahrhundert und analysiert dessen poetischen Gebrauch des Bildes der Rose. Es war die Übersetzung des steirischen Diplomaten und Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall, die Hafis in Europa bekannt gemacht und eine breite Rezeption ausgelöst hat. Es war seine Übersetzung, die Goethe 1812 zum West-östlichen Divan angeregt hat, der als unbestrittener Klassiker der deutschen Literatur gilt. Von Ludwig Wittgenstein ist der berühmte Satz überliefert: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Hammer-Purgstall hat die Grenzen seiner Welt weit geöffnet und uns damit einen Zugang zu unvertrauten Schönheiten verschafft und gerade das Erkunden, Ausloten und Überschreiten von Grenzen scheint im Rückblick ein Charakteristikum zeitgenössischer Kunst zu sein.
Fritz Ganser ist zudem ein Künstler, der sich in seinem Schaffen konsequent mit der Wechselwirkung von Sprache und Bild auseinandersetzt. Ob er Sprache als Bild komponiert, Bilder durch Worte dekonstruiert oder Schrift skulptural in den Raum stellt: seine Zeichensetzungen sind Denkspuren.
Die Ökonomie der Poesie
Die Struktur, die Ganser für seine Installation gewählt hat, gleicht einer Aneinanderfolge von Listen aus Buchstaben. Wie bei einer Rechnung, bei der die numerischen Zeichen untereinander geschrieben und zusammengefasst werden, sind die Buchstaben von oben nach unten angeordnet und ergeben erst am Ende als Summe einen Sinn. Bekannterweise ging die Schrift aus der Wirtschaftsadministration hervor: zuerst wurde gezählt und dann bezeichnet. Warenetiketten zählen zu den frühesten Schriftzeugnissen der Menschheitsgeschichte. Die auf diese Weise übermittelten Informationen waren im Wesentlichen Objekt- und Mengenangaben. Ganser hat nach Rosen in Hafis’ Gedichten gesucht und als Ergebnis die Buchstaben mit einer Farbe bedacht.
Die skulpturale Transkription von Hafis’ Poesie ist somit nicht nur eine analytischen Auseinandersetzung mit seiner Dichtung, sondern verweist zugleich auf die Entwicklung der Schrift von der Keilschrift bis zur Turingmaschine.
Die Dichte, der wie Schnurregen von oben nach unten fallenden Buchstaben, erinnert an den amerikanischen Film Matrix aus dem Jahr 1999. Die Matrix ist im gleichnamigen Film der Wachowski-Brüder eine riesige Erlebnis-Maschine, die programmiert wurde, um Tausenden von Menschen, die nur mehr dem Zweck der Energiegewinnung dienen, die Illusion zu geben, ein normales Leben zu führen. Nur der Protagonist des Films vermag hinter den Vorhang der Wirklichkeit zu sehen und die Konstruktion dieser Scheinwelt anhand des vor ihm herunterprasselnden Programmiercodes zu erkennen. Man könnte diesen Gedankengang aufgreifen und die stukturalistischen Theorien bemühen, nach denen Wirklichkeit durch Sprache konstruiert wird und auf die altbekannte Tatsache verweisen, dass Sprache daher immer ein zentrales Instrument jeder institutionalisierten Macht ist. Die Dichter wussten jedoch schon lange, dass Sprache nicht deskriptiv ist, sondern erst Wirklichkeiten schafft, weil sie selbst eine Wirklichkeit ist.
Ganser hat diesen Aspekt von Sprache paradigmatisch in seiner Installation umgesetzt, da jeder Buchstabe bei ihm sowohl mimetischer Gegenstand als auch Farbträger ist und die Frage nach der spezifischen Farbzuschreibung und damit der Wirklichkeitsdefinition immer auf die Sprache rückgeführt wird.
Die Farben der Poesie
Worauf seine Installation auch noch explizit verweist ist, dass Maler und Dicher in ihren Werken mit der gesamten Palette an Farben arbeiten, um spezifische Stimmungen zu erzeugen und dass sich Farbe dabei oftmals verselbständigt, jedoch nie gänzlich den Bezug zur Wirklichkeit verliert. Künstler und Dichter komponieren Farbmetaphern, um die Möglichkeiten des Ausdrucks zu erweitern, denn jede Farbe steht für eine Summe an Bedeutungen: jede Farbe ist immer mehr als eine Farbe. In ihrer scheinbar fragmentarischen lyrischen Darstellung fungiert sie nicht nur als Informationsträger, sondern auch als Sinnträger. Wassily Kandinsky schreibt, dass die Farbe ein Mittel ist, „einen direkten Einfluß auf die Seele auszuüben. Die Farbe ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten. Der Künstler ist die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckmäßig die menschliche Seele in Vibration bringt.“[1]
Über die Farbe wird das Geistige in der bildenden Kunst indiziert, das für die Mystiker der islamischen Welt wie ein Schatten hinter allem Irdischen steht. Die Farben stehen daher nur mittelbar für einen Realitätsbezug und verweisen subtil auf die ihnen inhärente metaphysische Dimension.
Die Ordnung der Poesie
Der Kubus, den Ganser für seine Installation errichtet hat, repräsentiert das Haus des Dichters, den Raum der Sprache. Es ist ein imaginärer Raum, der durch Konturen im Realraum eingegrenzt wurde und doch offen und durchlässig ist, wie die Sprache. In dieser klaren geometrischen Form ist die traditionelle Ordnung jedoch aufgebrochen und der Betrachter muss sich immer wieder neue Perspektiven suchen, um zum Kern der Bedeutung vorzudringen und eine Ordnung im bunten Tohuwabohu zu erkennen. Hat man die Struktur der Anordnung erkannt, so vermag man nicht nur ein Gedicht wie einen Sprachvorhang von oben nach unten zu lesen, sondern erkennt in einem simultanen Betrachtungsprozess bereits Worte aus dem „dahinter“ liegenden Buchstabenschleier, wodurch die einzelnen Worte und Gedichte miteinander in Beziehung treten und eine poetische Interaktion von neuer Qualität entsteht.
Die Abkehr von der traditionellen Leserichtung und vom hierarchischen Prinzip der Syntax bewirkt ein Umdenken unserer Wahrnehmungs-Konventionen und zwingt uns nolens volens zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Bausteinen der Sprache und der beinah grenzenlosen Bedeutungsvielfalt ihrer Anordnungen. In der gesamten arabischen und persischen Literatur findet sich das poetische Spiel mit der Buchstabensymbolik. Hafis schreibt beispielsweise in einem seiner Gedichte: „Auf der Tafel meines Herzens ist nur das Alif deiner Gestalt. Was soll ich denn machen, mein Lehrer hat mir keinen anderen Buchstaben beigebracht.“
Das Alif ist der erste Buchstabe des arabischen Alphabets und es gibt in der Kalligraphie eine Tradition der Darstellung des Alif als menschliche Gestalt. Zugleich ist das Alif auch der Anfangsbuchstabe von Allah und steht im Arabischen für den Zahlenwert eins und verweist damit auf den einen und einzigen Gott. Der Vers steht daher sowohl für die irdische wie auch die göttliche Liebe. Wenn man sich als Betrachter auf diese Bedeutungspotenzialität von Sprache einlässt, erhält man eine Ahnung von der Tiefe und Reichweits von Gansers Installation und dem Bewusstsein, mit dem er die Gedichte von Hafis in eine neue Ordnung überführt hat.
Poesie und Kunst sind wie Rosen sehr fragile Gebilde und können wie die Installation von Ganser durch einen Windhauch in Bewegung geraten. Ein Hauch kann einen neuen Rhythmus und einen Tanz der Farben hervorbringen, ein Sturmstoß hingegen Verwirrung, Chaos und Zerstörung. „Wie konnte die Rose je ihr Herz öffnen und dieser Welt all ihre Schönheit schenken? Sie spürte die Ermutigung des Lichts, das sie liebend umfing. Sonst blieben wir alle zu erschrocken.“
Roman Grabner, 2017
[1] Wassily Kandinsky; Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei. München 1911. S. 68.